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Mehr als heisse Luft: Warum bewusster Atem ein unterschätztes Supertool ist

Atmen – das machen wir doch sowieso. Warum also so ein Aufhebens darum?

Genau das denken viele. Und genau deshalb wird Atemarbeit oft belächelt – als esoterischer Hype oder Wellness-Trend ohne Substanz. Doch das ist ein Missverständnis. Unser Atem ist nicht nur eine automatische Körperfunktion, sondern ein direkter Schlüssel zu unserem Wohlbefinden – biologisch, mental und emotional.


Der Atem – direkt mit dem Nervensystem verbunden

Der Atem ist eine der wenigen Körperfunktionen, die sowohl autonom als auch willentlich gesteuert werden können. Diese Besonderheit ermöglicht gezielte Interventionen in physiologische Prozesse, insbesondere in das autonome Nervensystem (ANS) – das für unbewusste Körperfunktionen wie Herzschlag, Blutdruck oder Stressreaktionen zuständig ist.


Zentral in diesem Zusammenhang ist der Nervus vagus, der Hauptnerv des parasympathischen Systems, welcher für Ruhe, Erholung und Verdauung verantwortlich ist. Studien zeigen, dass bewusstes, verlangsamtes Atmen – insbesondere mit verlängertem Ausatmen – die Aktivität des Vagusnervs steigert und den Körper aus dem sympathikotonen „Fight-or-Flight“-Modus in einen parasympathischen Ruhezustand überführt (Zaccaro et al., 2018; Russo et al., 2017).

Wissenschaftlich belegt: Was Atemarbeit bewirken kann

Eine wachsende Anzahl an verschiedene Studien belegen die positiven Auswirkungen von regelmässigen Atemübungen. Zum Beispiel:


  • Reduktion des Cortisolspiegels (Zaccaro et al., 2018)

  • Erhöhung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) – ein Prädiktor für Resilienz und emotionale Regulation (Russo et al., 2017)

  • Reduktion von Angst- und Depressionssymptomen (Brown & Gerbarg, 2005)

  • Verbesserung der Schlafqualität (ebd.)

  • Erhöhte Aufmerksamkeits- und Emotionskontrolle (Pal et al., 2004)


„Nur atmen“ – aber richtig

Natürlich atmen wir alle – aber nicht immer auf eine Weise, die unserem Körper wirklich hilft. Im Stress schalten viele unbewusst in einen flachen, schnellen Brustatem. Das signalisiert dem Körper: Gefahr!, auch wenn real vielleicht nur eine volle Inbox droht.


Die gute Nachricht: Atem lässt sich trainieren. Und oft reichen schon wenige Minuten täglich, um erste Effekte zu spüren.


Klinische und therapeutische Relevanz

Atemtechniken finden heute Anwendung in verschiedenen evidenzbasierten Therapieformen, darunter:


  • MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction)

  • CBT (kognitive Verhaltenstherapie) – in Verbindung mit Entspannungsverfahren

  • Traumatherapie – zur Stabilisierung und Affektregulation

  • Schlaftherapie und Angstbehandlung


Besonders bei Menschen mit chronischem Stress oder hohen beruflichen Anforderungen kann Atemarbeit ein niedrigschwelliges, selbstwirksames Tool zur Stabilisierung darstellen – mit sofortiger Rückkopplung und langfristigem Trainingseffekt.


Drei einfache Atemübungen für den Alltag

Hier sind drei evidenzbasierte Atemtechniken, die du jederzeit anwenden kannst – ganz ohne Matte, App oder Räucherstäbchen:


1. Die 4-6-Atmung (für Stressabbau)

4 Sekunden einatmen – 6 Sekunden ausatmenDiese Technik verlängert den Ausatem und beruhigt das Nervensystem. Perfekt bei akuter Anspannung.


2. Box Breathing (für Fokus)

4 Sekunden ein – 4 Sekunden halten – 4 Sekunden aus – 4 Sekunden haltenDiese Atemtechnik wird u.a. im militärischen Training genutzt, um unter Druck ruhig und fokussiert zu bleiben.


3. Zwerchfellatmung (für Regulation & Entspannung)

Eine Hand auf den Bauch, eine auf die Brust.Beim Einatmen hebt sich der Bauch – beim Ausatmen senkt er sich.Diese natürliche Atmung aktiviert gezielt den Parasympathikus. 5 Minuten täglich machen einen Unterschied.


Atem ist mehr als heisse Luft

Atemarbeit ist kein Trend, sondern ein evidenzbasiertes Werkzeug zur Regulation körperlicher und emotionaler Prozesse. Und sie ist ein alltagstaugliches Tool für mehr Balance, Klarheit und Resilienz. In einer Welt voller Reize und Tempo ist bewusster Atem ein Anker. Ein Werkzeug, das uns zurück ins Jetzt holt. Und manchmal ist genau das der Unterschied zwischen Reizüberflutung und innerer Ruhe.


Takeaway: Du musst keine Atemtechnik-Meister:in werden. Aber zu verstehen, was dein Atem kann, ist ein erster, kraftvoller Schritt hin zu echter mentaler Gesundheit – oder wie wir bei Well-being Rebel sagen: zu deinem Mental Wealth.




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Empfehlenswerte Studien und Reviews zur Atemarbeit


  1. Zaccaro, A., Piarulli, A., Laurino, M., Garbella, E., Menicucci, D., Neri, B., & Gemignani, A. (2018).How Breath-Control Can Change Your Life: A Systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing.Frontiers in Human Neuroscience, 12, 353.

    https://doi.org/10.3389/fnhum.2018.00353


Systematische Übersicht zur Wirkung von langsamer Atmung auf das zentrale Nervensystem, Herzfrequenzvariabilität und Stress.


  1. Pal, G. K., Velkumary, S., & Madanmohan (2004).Effect of short-term practice of breathing exercises on autonomic functions in normal human volunteers.Indian Journal of Medical Research, 120(2), 115–121.

    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15520485/


Studie zeigt, dass schon kurze Atemübungen den Parasympathikus aktivieren und Stressreaktionen mindern.


  1. Jerath, R., Edry, J. W., Barnes, V. A., & Jerath, V. (2006).Physiology of long pranayamic breathing: Neural respiratory elements may provide a mechanism that explains how slow deep breathing shifts the autonomic nervous system.Medical Hypotheses, 67(3), 566–571.

    https://doi.org/10.1016/j.mehy.2006.02.042


Hypothese und Erklärmodell, wie langsames, tiefes Atmen das autonome Nervensystem beeinflusst.


  1. Russo, M. A., Santarelli, D. M., & O’Rourke, D. (2017).The physiological effects of slow breathing in the healthy human.Breathe (Sheffield), 13(4), 298–309.

    https://doi.org/10.1183/20734735.000817


Review-Artikel zu den Effekten langsamer Atmung auf Herzfrequenzvariabilität, Blutdruck und psychisches Wohlbefinden.


  1. Brown, R. P., & Gerbarg, P. L. (2005).Sudarshan Kriya Yogic breathing in the treatment of stress, anxiety, and depression: Part II—clinical applications and guidelines.Journal of Alternative and Complementary Medicine, 11(4), 711–717.

    https://doi.org/10.1089/acm.2005.11.711


Klinische Studie über die Wirksamkeit einer spezifischen Atemtechnik (Sudarshan Kriya) bei der Behandlung von psychischen Belastungen.


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