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Den Mythos vom rosa und blauen Gehirn : Warum das menschliche Potenzial grösser ist als Geschlechterrollen und Biologie

Wir alle haben sie schon gehört: „Männer sind Jäger, Frauen sind Sammlerinnen.“„Männer sind logisch, Frauen sind emotional. “Oder der berüchtigte Pop-Psychologie-Slogan der 90er: „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus.“ Diese eingängigen Einzeiler haben über Jahrzehnte geprägt, wie wir über Geschlecht denken – und die Vorstellung verstärkt, dass Männer und Frauen grundlegend unterschiedlich „verdrahtet“ sind: im Denken, im Fühlen, im Handeln.


Aber die Wahrheit ist: Neurowissenschaft, Psychologie und Anthropologie zeigen seit Jahren, dass diese hübsch sortierten Schubladen Mythen sind. Menschliche Gehirne sind nicht rosa oder blau. Und die Geschichten, die wir über Geschlechterrollen erzählen, sind kein biologisches Schicksal – sie sind Kultur.


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Der Mythos vom „männlichen“ und „weiblichen“ Gehirn

Trotz populärer Behauptungen hat die moderne Neurowissenschaft kein klar unterscheidbares „männliches Gehirn“ oder „weibliches Gehirn“ gefunden. Ja, Hormone und Biologie spielen eine Rolle in der Entwicklung. Aber wenn Forschende die Struktur und Funktion des Gehirns untersuchen, sind die Überschneidungen zwischen Männern und Frauen deutlich grösser als die Unterschiede. Eine grossangelegte Studie von 2015 untersuchte über 1.400 Gehirnscans und kam zu einem spannenden Ergebnis: Die meisten Gehirne sind ein „Mosaik“ aus Eigenschaften. Einige Merkmale treten statistisch etwas häufiger bei Männern auf, andere etwas häufiger bei Frauen – aber ein Gehirn entspricht selten dem stereotypen Gesamtbild „männlich“ oder „weiblich“.


Mit anderen Worten: Es gibt kein typisch männliches oder weibliches Gehirn. Jeder Mensch trägt eine einzigartige Kombination von Fähigkeiten, Strukturen und Neigungen in sich. Und dennoch halten sich die alten Vorstellungen hartnäckig: Wir glauben weiterhin, Männer seien logisch und Frauen emotional – obwohl die Wissenschaft längst zeigt, dass Gehirne viel komplexer und individueller sind, als einfache rosa- und blau-Kategorien es suggerieren.


Alte Mythen sterben langsam: Die „Jäger-und-Sammler“-Geschichte

Eine besonders hartnäckige Erzählung ist der evolutionäre Mythos: „Männer gingen jagen, Frauen blieben zu Hause.“ Diese Idee wird bis heute genutzt – als Erklärung für Büro-Dynamiken, für Dating-Tipps oder für Leadership-Modelle. Doch archäologische und anthropologische Funde erzählen eine ganz andere Geschichte.


Frauen in „männlichen“ Rollen: So wurde zum Beispiel ein 9.000 Jahre altes Grab in den Anden entdeckt. Es enthielt das Skelett einer jungen Frau – ausgestattet mit einem kompletten Jagdset für Grosswild. Sie war also Jägerin, nicht Beobachterin am Lagerfeuer (Haas et al., 2020). Auch Kriegerinnen scheinen in der Vergangenheit keine Ausnahme gewesen zu sein: Das berühmte Wikinger-Grab Bj 581 in Birka (Schweden) wurde 1878 entdeckt und über ein Jahrhundert lang als Männergrab interpretiert – wegen der Waffen, Pferde und taktischen Spielsteine darin. Erst 2017 ergab eine DNA-Analyse: Es handelte sich um eine Frau, eine hochrangige Kriegerin, die nur aufgrund von Geschlechterklischees übersehen wurde (Hedenstierna-Jonson et al., 2017).


Männer in „weiblichen“ Rollen: Auch Männer waren nicht ausschliesslich Jäger und Kämpfer. Bei den Aka in Zentralafrika zeigen ethnologische Studien, dass Väter mehr Zeit in direkte Kinderfürsorge investieren als in jeder anderen bekannten Kultur – Babys tragen, trösten, primär betreuen (Hewlett, 1991). Auch die Handwerksgeschichte überrascht: In der Jungsteinzeit beteiligten sich Männer häufig an Textilproduktion und Töpferei – Tätigkeiten, die wir heute vorschnell als „Frauenarbeit“ etikettieren (Barber, 1994).


Familienstrukturen: Eine DNA-Studie von 2025 zeigte, dass Männer in der Eisenzeit Britanniens häufig in die Familien ihrer Ehefrauen zogen – ein System, das als Matrilokalität bezeichnet wird (Schiffels et al., 2025). Das deutet darauf hin, dass Frauen erheblichen Einfluss hatten, möglicherweise Land kontrollierten und wirtschaftliche Macht ausübten.


All diese Beispiele verdeutlichen: Menschliche Gesellschaften waren schon immer vielfältiger, anpassungsfähiger und weniger starr als die simplen Geschlechter-Skripte, die populäre Narrative uns glauben heute machen wollten. Und das ist eine gute Nachricht – denn sie zeigt uns, dass Flexibilität, nicht Starrheit, Gesellschaften widerstandsfähiger macht, Beziehungen gesünder und Individuen freier, in Übereinstimmung mit ihrem wahren Selbst zu leben.


Warum diese Mythen immer noch wichtig sind (und was das mit Wohlbefinden zu tun hat)

Selbst wenn die „Männer jagen, Frauen kümmern sich“-Geschichte längst überholt ist, hallt sie bis heute in unserem Alltag nach – mit spürbaren Folgen für mentale Gesundheit und Wohlbefinden:


  • Stress & Burnout. Wer in enge Rollen gezwungen wird („Männer weinen nicht“, „Frauen müssen sich kümmern“), unterdrückt Emotionen, überlastet sich in Rollenanforderungen und riskiert chronischen Stress. All das sind Risikofaktoren für psychische Probleme und Burnout.

  • Identität & Selbstwirksamkeit. Geschlechterstereotype beeinflussen Erwartungen – und Menschen limitieren sich selbst. Frauen zweifeln an Führungspotenzial, Männer vermeiden es, Hilfe zu suchen. Beides schwächt Selbstvertrauen und hemmt Entwicklung.

  • Beziehungen & Kommunikation. Mythen über „natürliches“ Kommunikationsverhalten führen zu selbsterfüllenden Mustern: emotionale Vermeidung, Missverständnisse, geringere Intimität.

  • Organisatorische Kosten. Geschlechterannahmen prägen, wer befördert wird, wer unbezahlte Care-Arbeit leistet und wer „ins Leadership passt“. Das schadet Fairness, Teamdynamik und Bindung ans Unternehmen.


Kurz gesagt: Geschlechtermythen zu hinterfragen ist nicht nur eine Frage von Fairness oder Gerechtigkeit (auch wenn das wichtig ist). Es ist eine Frage von kollektivem mentalem Wohlstand. Weniger Stereotypendruck bedeutet mehr Raum für Authentizität, gesunde Hilfesuche, faire Arbeitsverteilung und stärkere Beziehungen.


Das Skript umschreiben – praktische Schritte fürs Wohlbefinden

Wenn Geschlechterstereotype kulturell gelernt und verstärkt werden, können sie auch verlernt und neu gestaltet werden. Konkrete Veränderungen sind auf individueller, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene möglich:


  • Wahrnehmen & benennen. Stoppen, wenn der Gedanke „typisch Mann/Frau“ auftaucht. Frage dich stattdesen: Ist dieses Verhalten wirklich biologisch – oder nur ein kulturelles Skript?

  • Erfahrungen diversifizieren. Früh und häufig unterschiedliche Rollen fördern: Leadership, Care-Arbeit, Technik, Kreatives – über Geschlechter hinweg.

  • Sprache ändern. Statt pauschaler Gender-Zuschreibungen lieber konkrete Beobachtungen nutzen.

  • Politik & Rahmenbedingungen. Elternzeit für alle, flexible Arbeitsmodelle und faire Beförderungspraxis machen nicht-traditionelle Entscheidungen möglich.

  • Rollenmodelle sichtbar machen. Männer, die empathisch führen; Frauen, die technisch brillieren; non-binäre Führungskräfte – Sichtbarkeit verändert Erwartungen.

  • Reflexion fördern. Journaling, Achtsamkeit, Werteklärung – Tools, die helfen, internalisierte Erwartungen zu erkennen und anders zu wählen.


Kleine Schritte, oft wiederholt, bauen neue Normen auf und reduzieren den unsichtbaren Druck, der Wohlbefinden schwächt.


Schlussgedanken: Vom Mythos zu Mental Wealth

Kultureller Wandel passiert nicht über Nacht. Aber wie bei jeder Gewohnheit, die Wohlbefinden stärkt, zählen kleine, wiederholte Schritte. Jedes Mal, wenn wir einen Geschlechter-Mythos hinterfragen – ob zu Hause, in der Schule oder im Büro – reduzieren wir vermeidbaren Stress, stärken Potenzial und schaffen Umfelder, in denen mentale Gesundheit gedeihen kann.


Well-being Rebel Fazit: Gehirne sind nicht rosa oder blau. Unsere Fähigkeiten, Stärken und Verletzlichkeiten sind menschlich. Diese Mythen zu entkräften ist essenziell – für individuelles Wohlbefinden, gesellschaftliches Gedeihen und resiliente Organisationen. Mental Wealth wächst dort, wo wir Menschen nicht nach Geschlecht in Schubladen stecken, sondern nach Chancen und Potenzial fördern.


Quellen & weitere Lesemöglichkeiten

  • Daphna Joel et al., Sex beyond the genitalia: The human brain mosaic (PNAS, 2015).

  • Wilamaya Patjxa (Andes) early hunter burial — 9,000-year-old female hunter (Science Advances / UC Davis reporting).

  • Cross-cultural analyses of women’s participation in hunting (PLOS ONE; comparative forager studies).

  • Genomic/osteological confirmation of the Birka grave (Bj 581) as a biologically female warrior (2017 study; follow-up analyses).

  • Ancient DNA study showing matrilocality and female-centered lineages in Iron Age Britain (Nature / 2024–25 reports).




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