Gesunde Beziehungen: Warum subtile Worte und Gesten am meisten zählen
- Nicole Ardin
- 30. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. Aug.
Wenn wir darüber nachdenken, was eine Beziehung zerstört, haben wir meist die „groen“ Dinge im Kopf: Untreue, Vernachlässigung, laute Streits. Weniger im Blick haben wir die Mikro-Momente – die beiläufigen Gespräche beim Frühstück, die Nachrichten zwischendurch im Arbeitsalltag, die Art, wie wir reagieren, wenn uns jemand etwas Schönes erzählt.

Doch die Forschung zu Beziehungen (u. a. von John Gottman und Shelly Gable) zeigt deutlich: Es sind nicht die seltenen grossen Konflikte, die über das Gelingen einer Partnerschaft entscheiden. Es sind die vielen kleinen, alltäglichen Begegnungen – und wie wir mit ihnen umgehen.
Hier kommt das Konzept der Micro Dismissals ins Spiel.
Die unsichtbare Gefahr: Was sind Micro Dismissals?
Um es klar zu sagen: „Micro Dismissals“ ist bisher kein offizieller wissenschaftlicher Begriff. Es ist ein praktischer Ausdruck, um ein Phänomen zu benennen, das in der Psychologie seit Langem erforscht wird: die subtilen, oft unbeabsichtigten Formen von Abwertung oder Nichtbeachtung.
Diese Momente wirken nicht dramatisch. Sie klingen nicht wie offene Kritik oder Ablehnung. Vielmehr tauchen sie in scheinbar harmlosen Situationen auf:
„Du übertreibst.“
„So schlimm ist das doch gar nicht.“
Man reagiert nicht auf eine Nachricht, ist aber online aktiv.
Man scrollt am Handy, während die Partnerin/der Partner erzählt.
Einzeln betrachtet mag das unbedeutend wirken. Doch Studien zeigen: Wiederholte Muster von Invalidierung oder Unaufmerksamkeit untergraben Vertrauen, schaffen emotionale Distanz und erhöhen Stress. John Gottman spricht hier von „Wenden ab“ – im Gegensatz zum „Wenden zu“, das Nähe und Verbindung fördert. Mit der Zeit summieren sich solche Mikro-Dismissals wie Tropfen, die Stein aushöhlen.
Warum sie wehtun: Die Psychologie dahinter
Micro Dismissals treffen einen unserer Grundbedürfnisse: gesehen und wertgeschätzt zu werden. Sozialpsychologische Forschung zeigt, dass schon kurze Momente des Überhörens oder Abwertens dieselben neuronalen Bahnen aktivieren können wie körperlicher Schmerz (Eisenberger et al., 2003).
In Paarstudien ist Invalidierung stark mit niedrigerer Beziehungszufriedenheit und erhöhter Konfliktneigung verbunden. Auch im Arbeitskontext berichten Mitarbeitende, die sich übergangen oder abgetan fühlen, von weniger Engagement, geringerer Motivation und weniger Vertrauen in Führungskräfte.
Ein Augenrollen oder ein unaufmerksames „mhm“ zerstört keine Beziehung. Doch in der Summe erzeugen sie ein Klima, in dem sich die andere Person unsichtbar fühlt – und das kann ebenso schädlich sein wie offener Streit.
Ein besserer Weg: Achtsame Kommunikation
Wie also verhindern wir, dass uns subtile Abwertungen entgleiten? Der erste Schritt ist
Achtsamkeit in der Kommunikation.
Das bedeutet nicht, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Es bedeutet vielmehr, bewusst präsent zu sein. Sich zu fragen:
Höre ich wirklich zu – oder warte ich nur darauf, selbst zu sprechen?
Zeigt meine Körpersprache Interesse oder Ungeduld?
Könnte meine Antwort unbeabsichtigt das Gesagte kleinreden?
Oft reicht es schon, das Handy wegzulegen, Blickkontakt herzustellen und das Gehörte kurz zu spiegeln. Solche Mikro-Bestätigungen sind das Gegengift zu Mikro-Dismissals – sie vermitteln: „Ich höre dich. Du bist mir wichtig.“
Das wissenschaftlich fundierte Werkzeug: Active Constructive Responding (ACR)
Ein besonders hilfreiches, gut erforschtes Modell für bessere Gesprächsqualität kommt aus der Positiven Psychologie: Active Constructive Responding (ACR).
Shelly Gable und ihr Team (2004) untersuchten, wie Menschen reagieren, wenn jemand gute Nachrichten teilt. Sie fanden heraus: Beziehungen gedeihen nicht nur daran, wie wir in Krisen miteinander umgehen, sondern auch daran, wie wir Freude miteinander teilen.
Vier Reaktionsstile wurden identifiziert:
Aktiv–Konstruktiv ✅ (das Ziel)
Engagiert, begeistert, unterstützend.
Beispiel: „Das ist grossartig! Erzähl, wie ist es passiert?“
Effekt: Stärkt Vertrauen, Nähe und Zufriedenheit.
Passiv–Konstruktiv 🙂
Positiv, aber zurückhaltend.
Beispiel: „Schön.“ (ohne Nachfragen)
Aktiv–Destruktiv ⚡
Energiegeladen, aber untergrabend.
Beispiel: „Wow, klingt aber auch stressig. Schaffst du das überhaupt?“
Passiv–Destruktiv ❌
Ignorieren, ablenken, Themenwechsel.
Beispiel: „Cool… Apropos, morgen im Büro…“
Auffällig ist, wie sehr die drei nicht-konstruktiven Stile an Micro Dismissals erinnern. Sie sind nicht offen feindlich, doch sie lassen die andere Person entwertet zurück. Der aktiv-konstruktive Stil hingegen wirkt wie Mikro-Nahrung für Beziehungen – er stärkt aktiv Vertrauen, Nähe und Resilienz.
Alles zusammengeführt
Gesunde Beziehungen entstehen nicht durch grosse Gesten oder einmalige Versprechen. Sie entstehen durch die unzähligen kleinen Begegnungen jeden Tag.
Micro Dismissals mögen unbedeutend wirken, doch über die Zeit erodieren sie Vertrauen. Die Lösung liegt in zwei Schritten:
Achtsame Kommunikation: präsent sein, zuhören, anerkennen.
Active Constructive Responding: kleine Momente bewusst als Chancen für Nähe nutzen.
Die Forschung zeigt eindeutig: Wer sich konsequent dem anderen zuwendet, stärkt die Verbindung.
Also – das nächste Mal, wenn dir jemand etwas erzählt, sei es ein Ärgernis, eine kleine Freude oder einfach der chaotische Alltag: Halte inne. Schau hin. Frag nach. Feiere mit.
Denn am Ende sind es nicht die grossen Gesten, die eine Beziehung gesund machen – sondern die alltäglichen Entscheidungen, zuzuhören, zu antworten und klarzumachen: „Du bist mir wichtig.“
✨ Mini-Übung: Probiere es heute aus: Wenn dir jemand etwas Positives erzählt, reagiere aktiv und konstruktiv. Achte darauf, wie sich das Gespräch verändert – und wie sich eure Verbindung anfühlt.




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