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Stress 101: Was in Körper und Psyche wirklich passiert

Stress. Schon das Wort kann unsere Schultern anspannen lassen. Dabei ist Stress nicht automatisch der Bösewicht unseres Alltags – ganz im Gegenteil, er gehört zu den ältesten Überlebenswerkzeugen, die wir haben. Ohne ihn hätten unsere Vorfahren wahrscheinlich harte Winter oder hungrige Raubtiere nicht überlebt. Heute aber laufen die meisten von uns nicht mehr vor wilden Tieren davon. Stattdessen kämpfen wir mit überquellenden Postfächern, knappen Deadlines, finanziellen Sorgen oder familiären Verpflichtungen. Und trotzdem reagiert unser Körper, als stünden wir einem echten Gefahrenszenario gegenüber.


Dieser Artikel ist der Auftakt zu unserer neuen Serie „Lass uns über Stress und den Umgang damit sprechen“. In den kommenden Wochen schauen wir uns an, wie Stress Körper und Geist beeinflusst, was passiert, wenn er zu stark wird, und – am wichtigsten – was wir dagegen tun können.


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Was in Körper und Gehirn passiert, wenn wir Stress haben

Schauen wir uns zunächst an, was physiologisch passiert, wenn Stress zuschlägt. Dein Körper fragt nicht erst um Erlaubnis – er schaltet sofort in den Überlebensmodus. So funktioniert die Wissenschaft hinter dem Chaos:


  1. Der Alarm geht los

    Deine Amygdala, der "Gefahrendetektor" unseres Gehirns, erkennt sofort die Bedrohung. Sie sendet ein Signal an den Hypothalamus, der die Reaktion des Körpers koordiniert. Stell es dir vor wie einen Feueralarm.


  2. Dein Körper bereitet sich vor

    Fast sofort aktiviert dein sympathisches Nervensystem. Adrenalin und Noradrenalin strömen durch deinen Körper. Dein Herz schlägt schneller, das Blut wird in die Muskeln gepumpt, die Atmung beschleunigt sich, die Pupillen weiten sich. Du bist bereit zu kämpfen, zu fliehen, zu erstarren oder dich anzupassen – genau wie unsere Vorfahren, wenn ein Raubtier drohte.


  3. Die HPA-Achse mischt mit

    Etwas langsamer, aber genauso wichtig, reagiert die HPA-Achse: Der Hypothalamus signalisiert die Hypophyse, die wiederum die Nebennieren anweist, Cortisol auszuschütten. Cortisol hält dich wachsam und fokussiert, während Verdauung, Immunsystem und Fortpflanzung vorübergehend heruntergefahren werden. Die klare Botschaft deines Körpers: Überleben zuerst, alles andere später.


  4. Auch dein Gehirn verändert sich

    Stress beeinflusst unser Denken. Die Aktivität im präfrontalen Kortex – zuständig für Planung, Logik und Selbstkontrolle – nimmt ab, während die Amygdala hochfährt. Deshalb fällt es unter Stress schwerer, klar zu denken, Entscheidungen zu treffen oder ruhig zu bleiben.


Wo und wann Stress sichtbar wird

Stress zeigt sich oft an Orten, an die wir gar nicht denken – und auf eine Weise, die völlig normal wirkt. Er ist nicht immer dramatisch, doch dein Körper reagiert, als sei echte Gefahr im Spiel:


  • Dein Zug hat Verspätung, und du kommst zu spät zu einem Meeting – klassischer Fluchtmodus. Du willst der Situation entkommen, dich beeilen oder den Stress so schnell wie möglich loswerden.

  • Du stehst im Stau und brüllst die anderen Autos an – Kampfmodus. Dein Körper ist bereit, die Herausforderung frontal anzugehen, auch wenn das „Problem“ nur ein roter Wagen vor dir ist.

  • In einem angespannten Gespräch fällt dir nicht mehr ein, was du sagen wolltest – Freeze-Modus. Dein Gehirn pausiert, in der Hoffnung, unauffällig zu bleiben, bis die Anspannung vorbei ist.

  • Du sagst automatisch „Ja“ zu einer Bitte, die du gar nicht bewältigen kannst – Fawn-Response. Andere zu gefallen fühlt sich in diesem Moment wie die sicherste Option an, selbst wenn es dich überlastet.


Zu erkennen, wann diese Muster auftreten, ist der erste Schritt, um wieder die Kontrolle zu übernehmen. Je mehr du bemerkst, wann dein Stresssystem aktiviert wird, desto leichter fällt es, innezuhalten, neu zu orientieren und bewusst zu entscheiden, wie du reagierst – anstatt das Nervensystem die Regie übernehmen zu lassen.


Stress ist nicht immer „schlecht“

Das Entscheidende: Stress an sich ist nicht das Problem. In kurzen, punktuellen Momenten schärft er die Aufmerksamkeit, gibt Energie und hilft uns, Leistung zu bringen. Die Nervosität vor einer Präsentation sorgt dafür, dass du dich gründlich vorbereitest, das Adrenalin vor einem Rennen lässt dich schneller laufen.


Normalerweise übernimmt dann das parasympathische Nervensystem wieder das Kommando und stellt das Gleichgewicht her: Herzschlag verlangsamt sich, Atmung stabilisiert sich, Cortisol sinkt, rationales Denken kehrt zurück. Das Problem ist also nicht gelegentlicher Stress – sondern wenn der Körper ständig Alarm schlägt.


Das nennen wir chronischen Stress. Cortisol bleibt hoch, der Körper befindet sich permanent im „Alarmzustand“. Das raubt Energie, stört den Schlaf und kann langfristig die Gesundheit beeinträchtigen.


Übrigens: In der Schweiz ist das gar nicht so selten. Laut dem Job Stress Index 2022 befinden sich fast 30 % der Beschäftigten in einer kritischen Stresssituation. Das ist nicht nur eine persönliche Belastung – es kostet die Schweizer Wirtschaft jedes Jahr Milliarden Franken durch Produktivitätsverluste.


Wie geht es weiter?

Dieser Artikel ist der Auftakt unserer Serie „Lass uns über Stress und den Umgang damit sprechen“. In den kommenden Wochen betrachten wir die versteckten Kosten von chronischem Stress, frühe Warnsignale und einfache Werkzeuge, um das Nervensystem wieder zu beruhigen.


Wenn du schon jetzt tiefer einsteigen möchtest, empfehlen wir die folgenden Artikel:




Well-being Rebel Tipp: Statt zu fragen „Was stimmt nicht mit mir?“, wenn Stress auftaucht, frag lieber: „Was stresst mich gerade?“ Dieser kleine Perspektivwechsel verschiebt den Fokus von Selbstvorwürfen hin zu Problemlösung – ein echter Rebel-Move.

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