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Wenn die Welt langsamer wird: Was der Herbst hochsensiblen Seelen lehrt

Für mich hat diese Jahreszeit etwas wirklich Heiliges. Wenn der Herbst tiefer wird, lädt uns die Natur dazu ein, langsamer zu werden, uns nach innen zu wenden und nachzudenken. Sie erinnert uns an Zyklen, Abschlüsse und die stille Weisheit, die mit dem Loslassen einhergeht.


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Für viele von uns, die die Welt besonders intensiv wahrnehmen — Empath:innen, Intuitive, diejenigen, die tiefer fühlen — fühlt sich diese Zeit wie ein Zuhause an. Auch ich selbst habe ein feinfühliges Nervensystem — was die Wissenschaft als Sensory Processing Sensitivity (SPS) bezeichnet und die Pop-Psychologie als Highly Sensitive Person (HSP) — und nehme dadurch viel mehr aus meiner Umgebung auf: Geräusche, Stimmungen, Energie, Details. Es ist sowohl ein Geschenk als auch eine Herausforderung in einer Welt, die ständige Reize glorifiziert.


Wir leben in einer Kultur, die Geschwindigkeit, Produktivität und Widerstandskraft schätzt — oft wird Sensibilität fälschlicherweise als Zerbrechlichkeit oder Schwäche verstanden. Doch die Forschung zu SPS erzählt eine andere Geschichte: hochsensible Menschen verarbeiten Informationen tiefer, nehmen Feinheiten wahr, die andere übersehen, und verfügen über ein reiches Innenleben. Das sind Stärken — wenn wir lernen, mit unserem Nervensystem zu arbeiten, statt dagegen.

Und dafür ist der Herbst der perfekte Lehrer.

Wenn die Tage kürzer werden und die Natur langsamer, sehnt sich auch unser Körper nach Ruhe. Dennoch zwingt uns das moderne Leben oft, diese Rhythmen zu übergehen — „immer an“ zu bleiben, weiterhin Leistung zu erbringen.


Doch die Wahrheit ist: Ruhe, Langsamkeit und Rückzug sind keine Zeichen von Schwäche. Sie sind essenzielle Bestandteile unseres körpereigenen Selbstregulationssystems — dasselbe System, das uns ausbalanciert, geerdet und reaktionsfähig hält, anstatt impulsiv zu reagieren.


Aus Sicht der Stressforschung ermöglichen ruhige Momente dem parasympathischen Nervensystem zu aktivieren — dem Zweig, der für Ruhe, Verdauung und Regeneration zuständig ist. Hier geschieht Erholung. Und genau deshalb fühlen sich viele HSPs instinktiv zur Natur, zur Stille, zu sanftem Licht und ruhigen Übergängen hingezogen: Es ist kein Vermeiden — es ist Ausrichten.


Praktiken wie Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR), Pranayama (Atemübungen) oder Waldbaden helfen uns, bewusst in diesen langsameren Rhythmus einzutreten. Nicht um der Welt zu entkommen — sondern um vollständig im Moment präsent zu sein und uns darin zu regenerieren. Ein achtsamer Spaziergang durch einen raschelnden Wald. Fünf Minuten langsames Atmen vor dem Schlafen. Eine Tasse Tee in Stille geniessen. Das sind keine Luxusmomente. Es sind neuronale Neustarts. Und ja, manchmal ist es als HSP einfach das gemütliche Sitzen auf dem Sofa, das Hören beruhigender Musik und das bewusste Nichtstun, das die beste Energiequelle ist.


Der Herbst ist die perfekte Zeit, dies auf viele Arten zu tun. Er erinnert uns daran, dass Selbstregulation kein einmaliges Ereignis ist — sie ist zyklisch. So wie Bäume ihre Blätter abwerfen, um sich auf Erneuerung vorzubereiten, profitieren auch wir davon, loszulassen, was unserem Nervensystem nicht mehr dient: Überstimulation, ständiges Streben, unrealistische Erwartungen.


Anstatt also zu fragen, wie wir weniger sensibel sein können, lautet die vielleicht passendere Frage: Was, wenn Sensibilität die Art der Natur ist, uns daran zu erinnern, wie man im Rhythmus lebt?


Zu reagieren statt zu hetzen.

Zu ruhen, ohne Schuldgefühle.

Sich anzupassen — und trotzdem dazuzugehören.


Vielleicht lehrt uns der Herbst jedes Jahr genau das — dem Fliessen genauso zu vertrauen wie dem Ebben.


Zu erkennen, dass Wachstum nicht nur im Licht geschieht; es geschieht auch still unter der Oberfläche, während wir ruhen.


Für uns, die wir mit tiefer Sensibilität verkabelt sind, ist diese Jahreszeit kein Aussetzen des Lebens — sie ist ein Teil davon. Eine sanfte Erinnerung daran, dass unsere Stärke nicht in ständiger Bewegung liegt, sondern darin, zu wissen, wann wir langsamer werden, zuhören und unserem System erlauben, seinen natürlichen Rhythmus wiederzufinden.


Herbstliche Praktiken für HSPs (und alle, die von einem ruhigen Nervensystem profitieren möchten)

  • Achtsamer Naturspaziergang: Trete nach draussen und achte auf die frische Luft, die Farben fallender Blätter oder den Duft von feuchter Erde. Sammle Kastanien, Eicheln oder Blätter und achte auf deren Texturen und Formen. Lass deine Sinne die Jahreszeit aufnehmen.

  • Herbstlicher Body Scan: Während eines kurzen MBSR-Body-Scans konzentriere dich auf die „Jahreszeit“, in der sich dein Körper befindet — achte auf Bereiche, die Wärme, Ruhe oder Erdung brauchen. Versuche nicht zu bewerten, sondern einfach wahrzunehmen. Anerkenne jede Anspannung durch Überstimulation und lass sie wie Blätter fallen.

  • Atme im Rhythmus der Jahreszeit: Versuche langsames, bewusstes Atmen, das den langsameren Herbst-Rhythmus widerspiegelt. Sanft einatmen, vollständig ausatmen, und dabei vorstellen, loszulassen, was dir nicht mehr dient.

  • Saisonale Ritualpause: Geniesse ein warmes Getränk — Tee, Apfelwein oder Kakao — in Stille. Lass Aromen, Wärme und Duft dich im Moment verankern.

  • Reflexion & Loslassen: Journale oder meditiere darüber, was du in dieser Saison loslassen möchtest — Gewohnheiten, mentalen Ballast oder Überanstrengung — und welche Rhythmen du in den kommenden Monaten ehren möchtest.


Ich wünsche dir eine wunderbare Herbstzeit!

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